Fasten gestern, heute, morgen – eine Standortbestimmung

Fasten ist so alt wie der Mensch. Es gehört zu ihm wie der aufrechte Gang, wie das Stehen und Verstehen, wie das Greifen und Begreifen. Doch der homo sapiens ist mehr als das, was er verstehen und begreifen kann. Gerade der zeitweilige Verzicht auf Nahrung lässt ihn das Numinose, Heilige erfahren und die Kräfte der Selbstheilung entdecken. Das war zu der Zeit, da Ärzte noch Priester waren und Priester Ärzte.
In der neueren Zeit hat das Fasten einen Säkularisierungsprozess erfahren. Die traditionsreiche Übung wurde erforscht, methodisch perfektioniert und in ein differenziertes Angebot umgemünzt. Das Fasten ist ein wichtiger Zweig des Gesundheits-und Wellnessbereichs geworden – und hilft nicht wenigen Menschen zu einem achtsamen, bewussten Leben.
Da Religionen und Kulturen sich mehr und mehr begegnen, wird das Fasten in Zukunft interkulturell und interreligiös ausgerichtet sein. Es wird wie im Ursprung vermehrt interdisziplinär sein und im Dienst eines „gutes Lebens“ stehen – oder es wird nicht das Fasten sein, wie ich es meine. Das Fasten wird uns weiterhin helfen, ein ethisch ausgerichtetes Leben zu führen – den andern und der Welt zum Wohle, uns selber zur Freude. Da das Sterben zum Leben gehört wie das Ausatmen zum Einatmen, ist schliesslich zu fragen: Wie und unter welchen Umständen kann uns das Fasten nicht nur zu einem guten Leben, sondern auch zu einem guten Sterben verhelfen?

Niklaus Brantschen, SJ, Bad Schönbrunn (CH)

Schweizer Jesuit, Zen-Meister und erfahrener Fastenleiter, Leiter
des Lasalle Hauses Schönbrunn von 1973 – 1987. Projektleiter und Gründer des Lassalle-Instituts für Zen, Ethik und Leadership in Bad Schönbrunn gemeinsam mit Pia Gyger. Er ist ein gefragter Referent und Autor von zahlreichen Büchern.

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